Aktualisiert am 22/02/2023 von Gina

An einer ungewöhnlichen Hilfsaktion für Kambodscha hat unsere Freundin Doerte teilgenommen. Bei der Fundriding-Tour fahren die Teilnehmenden auf Motorrollern durchs Land. Natürlich tragen sie dabei alle Kosten selber.

Für die gefahrenen Kilometer haben sie sich im Vorfeld Sponsoren gesucht. Die so gesammelten Spendengelder werden in Hilfsprojekte investiert. Während der Fundriding-Tour durch Kambodscha besuchten die Teilnehmenden verschiedene Hilfsprojekte.

Initiiert wird die Fundriding-Tour durch die Organisation Kleine Hilfsaktion e. V. in Neuss.

***Gastbeitrag von Doerte Storf***

Anreise mit Rollstuhl

Meine Reise durch Kambodscha ist vorbei. Das Erlebte wird noch lange nachklingen und einige Eindrücke werde ich sicher nie vergessen.

Am 29.11. startete der Flieger von Düsseldorf über Frankfurt nach Bangkok. Wir sollten jeder einen Rollstuhl mitnehmen, dieser war als Handgepäck angemeldet. Ansonsten würden erhebliche Frachtkosten für den Transport anfallen. Nach meiner Coverstory, das Hüftproblem, wurde ich tatsächlich durch den gesamten Flughafen Frankfurt und Bangkok geschoben. In Frankfurt dachte ich noch „Hoffentlich treffe ich keine bekannten Gesichter“.

In Bangkok wurde ich an der langen Immigration-Schlange sowie an der langen Taxi-Schlange vorbei geschoben und in ein Taxi gekippt. Easy! Der Rollstuhl war schon mal in Südostasien.

Unsere Fundriding-Tour-Gruppe

Wir waren 12 Teilnehmende, dazu zwei deutsche Guides, vier Khmer Guides, davon ein Arzt und ein Van-Fahrer.
Und Nadine, die im Namen der Kleinen Hilfsaktion e.V. die Leitung übernahm. Wir waren eine große Truppe und an vier Stationen reichten weder die Vorräte an Bier noch an Gin/Tonic – ständig hörten wir im Laufe der Abende wie Mopeds lostobten, um Nachschub zu besorgen. Tja, diese Gruppe war nicht zu unterschätzen und die jeweiligen Jahresumsätze der Barbetriebe wurden an diesen Abenden sicher erreicht.

Und nicht nur in dieser Beziehung war unsere Gruppe nicht zu toppen, denn seit Bestehen der Fundriding-Touren haben wir gemeinsam die meisten Spendengelder eingesammelt. Fast 74.000 Euro! Wir sind mächtig stolz und der Dank geht an alle Sponsoren.

Nach einem Kennenlern-Abend auf der Khaosan Road in Bangkok fuhren wir am 01.12. um 5 Uhr morgens in drei Minibussen circa vier Stunden bis zur Grenze nach Poipet. In einer langen Karawane passierten wir die Ausreise aus Thailand, die Visastation und Grenzkontrolle nach Kambodscha – mit Fingerabdruck-Scan.

See, in dem sich die Wolken spiegeln.

Landschaft im Kardamom-Gebirge.

Mit Rollern im kambodschanischen Verkehr

Die nächsten vier Stunden in einem Taxi nach Battambang schien für uns Neulinge im Khmer-Straßenverkehr das Ende unserer bis dahin kurzen Reise zu sein. Unsere schreckensweiten Augen huschten vom Gegenverkehr – zur Tachoscheibe – zum Straßenrand – zu Mopedfahrer aus allen Richtungen. Das war der Vorgeschmack…

Unweit von Battambang übernahmen wir auf dem Gelände der kooperierenden
Hilfsorganisation Barneebo Organization („genug“ auf Khmer) unsere Scooter Honda Wave 125.

Ein Van und eine Gruppe Rollerfahrer auf einer unbefestigten Straße.

Unterwegs auf Kambodschas Straßen.

Nach Fahrinstruktionen und -übungen auf der ersten Red Road bekamen wir eine leise Ahnung, was in den nächsten Tagen auf uns zukommen würde. Wir haben schnell gelernt, dass die Verkehrsregeln völlig unwichtig sind, nur das eigene Selbstbewusstseins zählt. Ein einzelnes Zögern, das wäre das Gefährliche. Einmal entscheiden und dann draufhalten, so machen das alle und es funktioniert. Hat sogar richtig Spaß gemacht und in Deutschland hätten wir mehrmals täglich unseren Führerschein abgeben können. Tatsächlich war es mächtig gefährlich. Wir sind alle froh, dass nichts passiert ist.

Die ersten Tage waren ganz im Zeichen der Kleinen Hilfsorganisation e.V. und den Sponsoren- und Spendengeldern gewidmet.

Das Hilfsprojekt WASH

Hautnah konnten wir miterleben, wofür diese Gelder verwendet werden. Schulen werden auf die einfachste Art mit Trinkwassersystemen ausgestattet – das Projekt WASH (Wasser, Sanitäre Einrichtungen und Hygieneschulungen).

Die Schulen im ländlichen Bereich haben im Normalfall noch nicht einmal eine Toilette. Die daraus folgenden hygienischen Umstände für die Schüler*innen sind für uns kaum vorstellbar.

Einstöckiges Schulgebäude, davor kugelförmige Wassertanks.

Eine der besuchten Schulen mit den Regenwassertanks.

Mit Hilfe der Spenden werden 4000-Liter-Regenwassertanks aus Beton aufgestellt (hergestellt vor Ort), die mit Regenwasser während der Regenzeit gefüllt werden. Mit einer Pumpe wird das Wasser in Vorratsbehälter gepumpt, durch Biosandfilter gereinigt und die Kinder haben sauberes Trinkwasser. Eine Flasche nehmen sie nach der Schule mit nach Hause, somit verbreiten sie das erlangte Wissen über Hygiene auch bei den Eltern und der Familie.

Zudem werden Toilettenanlagen gebaut und Handwaschstationen.

Langes Waschbecken mit mehreren Wasserhähnen an einer Wand.

Eine der Handwaschstationen.

Was für uns selbstverständlich ist, das ist für die Kinder und deren Familien Luxus. Inzwischen hat die kleine Hilfsaktion e.V. über 25 Schulen mit diesen Systemen ausgestattet. Im Regelfall kostet das pro Schule etwa 5.000 Euro – was für ein geringer Aufwand im Vergleich zum großen Nutzen für die Gesundheit, die Entwicklung und deren Nachhaltigkeit.

Das Hilfsprojekt Ponds-Pumps-Gardens

Das Projekt PPG – Ponds-Pumps-Gardens – gibt Hilfe zur Selbsthilfe. Hier entstehen Bio-Bauernhöfe, deren Bauern mit Hilfe eines gegrabenen Teichs und einer Pumpe ihre Ackerböden bewässern können.

Rechteckiger Wasserteich.

Ein Wasserteich für die Bewässerung.

Auch in diesem armen Land gibt es inzwischen Konzerne, die die Ernten und das Ackerland den Bauern aufgrund der fehlenden Logistik für wenig Geld abkaufen. Gleichzeitig versorgen sie die Bauern mit Dünger und Saathybriden. Der Boden geht kaputt, die Saat muss jedes Jahr neu gekauft werden und immer mehr Dünger muss gestreut werden, um zumindest eine kleine Ernte einfahren zu können.

Feld mit Reihen von grünen Pflanzen.

Hier wachsen die Früchte der Arbeit.

Im Projekt PPG werden die Bauern ausgebildet, wie Pflanzen biologisch angebaut werden. Fruchtfolgen werden eingehalten, die Ernteerträge steigen, das Saatgut ist gesund und wiederverwertbar. Als erfreuliche Folge des steigenden Tourismus gibt es inzwischen eine erhöhte Nachfrage nach Bio-Produkten in Hotels und Restaurants. Die Bauern sind in der Lage Nutztiere aus ihren eigenen Erlösen zu kaufen. Die Bauern können aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt ihrer Familien erarbeiten, sie werden weitergebildet und geben ihr Wissen an ihre Kinder weiter.

Projekt Dörfer

Die Dörfer Chy Hong I und II wurden aus 70 obdachlosen Familien gegründet. Jede Familie bekam ein Haus, ein eigenes WASH mit Regenwasser-Auffangsystem sowie eine Latrine. Sie werden im Umgang mit Wasser, Hygiene und dem BioSandfilter geschult. Es wurde eine dorfinterne Infrastruktur geschaffen, wie befestigte Wege durch das Dorf, Tiefbrunnen und ein Kindergarten.

Viele lachende Kinder.

Fröhliche Dorfkinder.

Die Dorfbewohner werden in der Anlage des eigenen Gartens geschult und Überproduktionen werden zu einem fairen Preis abgenommen. Das von der Regierung zur Verfügung gestellte Land ist zum Teil noch vermint, es ist auch nicht das fruchtbarste, und viele Männer arbeiten noch als illegale Arbeiter in Thailand. Aber ihre Familien haben eine Bleibe, ein soziales Gefüge, sie werden weitergebildet und die Kinder gehen zur Schule.

Projekt Behindertenhilfe: Die Rollstuhl-Spenden

Berührend war die Übergabe der Rollstühle. Ein Arzt vor Ort wählte im Vorfeld die Bedürftigen aus. Alle Familienmitglieder und das gesamte Dorf waren zugegen, als der Van mit den Rollstühlen und wir auf unseren Mopeds angefahren kamen.

Man muss sich vorstellen, wie diese Menschen, die jahrelang nur auf Holzpritschen liegen, in Schubkarren transportiert werden, plötzlich erfahren, dass sie bald einen Rollstuhl haben. Dass sie ohne Hilfe anderer wieder am Leben teilnehmen können. Teils strahlten sie uns entgegen, teils weinten sie, teils waren sie wie versteinert.

Kambodschanische Frau im Rollstuhl lacht Doerte an.

Was für eine Freude!

Ich hatte das Glück, dass die Dame, die meinen Rollstuhl bekam so lachte, sich so freute und dabei so unglaublich würdevoll war. Ich liebe dieses Foto und ich habe dieses Gefühl konserviert.

Kambodschas Müllproblem

Die weniger schönen Seiten des Landes sind überall präsent. Kambodscha hat kein Müllbeseitigungs-System. Nur in den größeren Städten wird Müll abgeholt, dies aber zu horrenden Preisen, die sich die meisten Familien nicht leisten können. Der Müll wird verbrannt, an fast jedem Haus schwelt ein beißender Plastikbrand. Oft direkt neben dem Haus, der Schule, dem Markt. Man kann kaum atmen.

Müllhalde in der Landschaft.

Alles andere als schön.

Auf den großen städtischen Mülldeponien leben Familien im größten Elend. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt durch Aussortieren von Rohstoffen. Generell ist das Verständnis von Müll für uns völlig fremd. Die Menschen leben im Müll, Kinder spielen mit Müll, die Hunde finden hier ihr Fressen.

Probleme mit Korruption und Ausbeutung

Augenscheinlich bestimmen Korruption und Egoismus der Höhergestellten die Amtsgeschäfte. Das Land wird an Chinesen verscherbelt. Diese bauen Staudämme, verkaufen den Strom wieder teuer an Kambodscha. Staustufen in den großen Flüssen verursachen Dürre und Trockenheit. Sie holzen die Regenwälder ab, der Mekong droht zu verschlammen, die Seen trocknen aus.

Die Folgen des Terror-Regimes der Roten Khmer

Das Terrorregime unter Pol Pot und seiner Armee, den roten Khmer hat das Land und seine Bewohner traumatisiert und gezeichnet.

Von 1975 – 1979 wurde ein Viertel der Bewohner von Kambodscha umgebracht. Menschen wurden entwurzelt, Familien getrennt. Die gesamte Bildungsschicht, Ärzte, Juristen, Philosophen, Schriftsteller, Lehrer, Künstler, Mönche etc. und deren Familien wurden als Feinde des geplanten Bauernstaats gefoltert und umgebracht. Es reichte eine Brille zu tragen, weiche Hände oder eine hellere Haut zu haben.

1975 ist noch gar nicht so lange her – ich war damals 15 Jahre. Dieser Bildungsverlust wird erst nach mehreren Generationen aufgeholt sein. Menschen in meinem Alter müssen den absoluten Horror erlebt haben. Pol Pot war ein Wahnsinniger und hat bis 1998 im Untergrund weitergelebt und agiert. Zwei hochrangige Vertreter des damaligen Regimes wurden erstmals (!) im November 2018 wegen Genozids schuldig gesprochen.

Kambodscha wurde in den Indochina-Krieg verwickelt. In dessen Folge hat Amerika mehr Bomben dort abgeworfen als insgesamt im 2. Weltkrieg. Die Roten Khmer haben noch zusätzlich Landminen eingegraben, um ihre vermeintlichen Feinde im eigenen Land zu töten. Weite Landstriche sind nicht zu betreten, es ist immer noch gefährlich vom Weg abzukommen.

Und trotz allem Elend und Armut sind die Menschen zwar zurückhaltend, aber immer freundlich und nett. Mir wurden bei einem kurzen Spaziergang Mitfahrmöglichkeiten auf den Mopeds angeboten, Speisen werden geteilt und Lächeln wird schnell erwidert.

Der Großteil der Einwohner Kambodschas sind Buddhisten, diese friedliche Religion macht das Land sicher. Kein Khmer wird sich am Eigentum anderer vergreifen.

Besuch von Angkor Wat

Die letzte Etappe war Siem Reap. Hier steht die sagenumwobene Tempelstadt Angkor Wat – eines der sieben Weltwunder. Es ist für mich nicht zu beschreiben, welche Energie, welche Kraft und Schönheit in diesen Stätten wohnt. Der Anblick von Angkor Wat ließ mich nur ein atemloses „Ich bin hier“ flüstern und die Gänsehaut, die ich ab da fast zwei Tage hatte, stellt sich schon beim Schreiben dieser Zeilen wieder ein.

Khmer-Tempel in Angkor Wat.

Die beeindruckende Architektur von Angkor Wat.

Es ist ein überwältigend schöner Ort.

Die Reise hat mich emotional unglaublich berührt und nun zu wissen und vor Ort erlebt zu haben, wozu die Spendengelder genutzt werden, was an der Basis tatsächlich bewegt wird, macht mich sehr glücklich.

Fotos: Doerte Storf, Isa Bollings, Simon Planz